Im Rahmen der Namslauer Turnvereine soll nun euch der M.T.V, "Jahn", der
im vergangenen Jahr seinen 60. Geburtstag(im Jahre 1963 geschrieben
-die Redaktion) hätte feiern können, allen lieben Namslauern in
Erinnerung gebracht werden.
Im Februar 1902 hatte ein Kreis von aktiven Turnern durch eine Bekanntmachung im "Namslauer
Stadtblatt" zu einer öffentlichen Versammlung im Lokal des Herrn MASKOS in
der deutschen Vorstadt aufgerufen. Es fanden sich eine größere Anzahl Interessenten,
auch maßgebliche Mitglieder des alten Turnvereins von 1868 ein.
Nach längerem Für und Wider wurde dann doch die Gründung eines neuen
Turnvereins beschlossen. Die treibenden Kräfte waren Uhrmachermeister Oswald JANDER
und Buchhalter Otto BUCHWALD, die beide aktive Turner des Alten Turnvereins von 1868
waren. Der Verein wurde also gegründet und die beiden Genannten zum Vorsitzenden
bezw. Turnwart gewählt,, Buchbindermeister LORCKE wurde Schriftwart, der Mechanikermeister
SCHCZUKA Zeugwart und Kürschnermeister SLANINA Kassenwart,
Es machte große Schwierigkeiten die Turngeräte und alles andere Notwendige
zu beschaffen. Die Turnbrüder brachten große Opfer und spendeten nach Kräften.
Es dauerte nicht lange und der Turnbetrieb nahm seinen Anfange Vereinslokal und Turnsaal
waren die Räume von MASKOS.
Das Geräteturnen wurde im Saale und das volkstümliche Turnen im Garten durchgeführt.
Durch den rechten, turnerischen Geist und die Opfer, die jeder Einzelne brachte, wurde
bald eine Atmosphäre geschaffen, die das fröhliche, frische Turnerleben außerordentlich
befruchtete. Als die ersten Turnabende anliefen, kamen auch viele Neugierige, die durch
den guten Geist und die fröhliche Stimmung der Turner angezogen wurden und sich
als Mitglieder anschlossen.
Die Gegner des Neuen Turnvereins schliefen natürlich nicht, und es gab in der
Bürgerschaft einige Mißstimmung Aber als in einer Versammlung des Vereins
Herr Lehrer PÄTZOLD zum Vorsitzenden gewählt wurde, war der Bann gebrochen
und alles beruhigte sich. Jetzt gewann auch der neue Turnverein nach außen hin
an Achtung und Ansehen. .
Durch eifrigen und regelmäßigen Turnbetrieb in Namslau wuchsen auch tüchtige
Turner heran, Der gesamte Turnbetrieb Namslau's bekam durch die Konkurrenz des neuen
Turnvereins einen mächtigen Auftrieb. Im Schlesisch-Posener-Grenzgau lag Namslau
an der Spitze aller Gauvereine in der Zahl der aktiven Turner und im Besuch der Turnstunden.
Die Früchte des eifrigen Turnbetriebes blieben natürlich nicht aus. Am Gauturnfest
in Praus-nitz konnten vier Turner den Eichenkranz erringen.
Diese vier Eichenkränze waren der schönste Schmuck unseres Vereinszimmers.
Im Laufe der Jahre kamen noch viele andere Preise dazu. Dies war ein sichtbares Zeichen
der Tüchtigkeit und des Erfolges der Turner. Wo immer wir hinkamen an Turnfesten
und Vorturnerstunden, wir Turner vom Namslauer Turnverein "Jahn" waren angesehen
und auch geschätzt.
Inzwischen hat sich das Klima auch zwischen beiden Vereinen gebessert. Besonders die
jungen,, aktiven Turner ergänzten sich gegenseitig durch Besuch an den Turnabenden,
Sie lernten voneinander und wetteiferten in ihren Leistungen. Leider zeigten die Behörden
damals wenig Verständnis für die Ertüchtigung der Jugend und die Leibesübungen,
Immer waren wir gezwungen im Saale - den wir oftmals erst freimachen mußten -
zu turnen.
Die Turngeräte waren in einem Schuppen im Garten untergebracht; wir mußten
alles also erst hereinbringen und aufbauen, Im Winter war das eine recht unangenehme
Sache. Im Saal war zwar ein Eisenofen angeheizt, aber es war trotzdem manchmal recht
empfindlich kalt.
Um im Sommer das volkstümliche Turnen mehr zu fördern hatte der Verein an
die Eskadron der Namslauer Dragoner ein Gesuch gerichtet. So war es uns nun gestattet,
den großen Exerzierplatz an der Straße nach Windisch Marchwitz zu benutzen.
Hier wurde nun vor allem das Faustballspiel gefördert. Aus diesen kleinen Anfängen
erwuchs eine tüchtige Mannschaft, die es im Laufe der Jahre zu einer beachtlichen
Höhe emporführte und in Schlesien oft an Wettkämpfen erfolgreich teilnahmen.
.
Um den Bestand der Geräte zu verbessern und zu erweitern, ging nach jede Turnabend
und an den Monatsversammlungen, wenn wir gemütlich beisammnen saßen, die
Sammelbüchsen herum. Jeder gab nach Kräften seine Spende. Da der Verein immer
noch keine Vereinsfahne hatte, wurde ein Fahnenfonds gegründet. Auch hier opferten
die Turnbrüder nach Kräften. Als schon ein ansehnlicher Betrag beisammen
war, wurde eine Umlage bei allen Vereinsmitgliedern gehalten8 die ein rechter Erfolg
war, Jetzt wurde die Fahne in Auftrag gegeben. Von verschiedenen auswärtigen Firmen
wurden Offerten abgegeben. Jedoch wurde beschlossen, die Vereinsfahne in Namslau fertigen
zu lassen. Fräulein Martha KNOBLOCH, Handarbeitslehrerin an der katholischen Schule
erhielt den Auftrag, den sie in einer wirklich gediegenen und künstlerisch hochstehenden
Arbeit geleistet hatte.
Auf der einen Fahnenseite war das Bildnis des Turnvaters Jahn, auf der anderen Seite
der Name des Vereins mit dem Wahlspruch "Frisch, fromm, froh, frei". Der
Grundstoff war rote und gelbe Seide. Die kunstvollen Stickereien waren in Gold und
Seide ausgeführt.
Inzwischen hatten die Vorbereitungen für das Fahnenweihefest begonnen, Durch die
regelmäßigen, alljährlich stattfindenden An- und Abturnen, hatten die
Turner bereits einen beachtlichen Ruf erworben. Nun galt es vor die Öffentlichkeit
zu treten und zu zeigen, was der neue Verein, der Männerturnverein "Jahn",
wirklich ist und kann.
Am 4. Juni 1905 war das Fahnenweihefest. Es wurden sämtliche Vereine des Schlesisch-Posener
Grenzgaues eingeladen. Schon am Tag vorher trafen eine Anzahl Turner, besonders die
zum Wettkampf gemeldeten und die Kampfrichter ein. Am Sonntag früh 6 Uhr war Reveille.
Unsere Stadtkapelle unter Ernst Bochnig's Leitung machte die Stadt lebendig. Die Bürger
hatten die Häuser und Straßen geschmückt und am Bahnhof stand die Ehrenpforte
mit dem Willkommensgruß an alle Turner.
Im Laufe des Vormittags fanden die Wettkämpfe im MASKOS'schen Saale und Garten
statt" Die Pflichtübungen waren je zwei Übungen am Reck,Barren, und
Reitpferd, sowie eine Kürübung an jedem dieser Geräte, Dazu drei volkstümliche
Übungen nämlich Gewichtheben, Steinstoßen und Freihochsprung.
Mittag 1 Uhr setzte sich der Festzug vom Weideschlössel aus in Bewegung zum Aufmarsch
auf dem Ring, Außer den Turnvereinen nahmen auch der Krieger-Verein und die Namslauer
Schützengilde daran teil. Auf dem Ring angekommen, begrüßte der Vorsitzende
des Männerturnverein "Jahn", Herr Lehrer PETZOLD, alle anwesenden Turner
und gab seiner Freude über die vielen Anwesenden Ausdruck Hierauf sprach Herr
Bürgermeister SCHULZ und beglückwünschte den Verein zu seinem Fahnenweihefest
und fand herzliche Worte an alle, besonders die auswärtigen Turner.
Nun brachten 8 Ehrenjungfrauen, die auf seidenen Bändern liegende neue, verhüllte
Fahne, vom Rathaus an das Rednerpult, Der Gauvertreter, Herr Seminarlehrer DAERR aus
Kreuzburg, hielt nun in seiner bekannten, packenden und zündenden Art die Weiherede
In dieser feierlichen Stille wurde die neue Fahne enthüllt und vom Fahnenträger
und seinen Begleitern übernommen. Ein herrlicher Anblick im hellen Sonnenscheine.
Eine Turnerin, Fräulein Bertha JÄSCHKE (spätere Frau des Fleischermeisters
REICHERT) und ein junger Turner sprachen den Prolog. Nun setzte sich der Festzug unter
den Klängen des Turnermarsches "Turner, auf zum Streite" in Bewegung.
Ganz Namslau war auf den Beinen und alle Straßen waren mit Auswärtigen und
Schaulustigen dicht besetzt.
Im Stadtpark angelangt, entwickelte sich bald das bekannte festliche Treiben, das uns
unser Stadtpark immer bot und die Herzen höher schlagen ließ. Die Kapelle
konzertierte und bald begannen die allgemeinen Freiübungen und das Kürturnen
an den Geräten. Die Stunden vergingen wie im Fluge. Durch ein Trompetensignal
wurde zur Siegerverkündigung gerufen,
Den ersten Preis errang einer unserer Turner, zweiter Sieger wurde Herr KÖSTER
vom Turnverein Oels, dem aber unser Namslauer Turner den ersten Preis abtrat. Die Begeisterung
hatte ihren Höhepunkt erreicht und bei Anbruch der Dunkelheit wurde zum Einmarsch
gerüstet. Es ging nun in unser Vereinslokal, wo bald freudiger Jubel auf's Neue
entbrannte. Bei fröhlichem Tanz vergingen die Stunden nur zu schnell, Es fing
schon zu grauen an, als die Letzten zum Heimgang aufbrachen.
Die Auswärtigen fuhren mit den ersten Morgenzügen heim. Alle nahmen wohl
die besten Eindrücke mit und immer wieder bei spätere Turnfesten wurden Erinnerungen
an das großartige Namslauer Fahnenweihefest aufgefrischt.
Unsere Turner, als gastgebender Verein, ließen bei Allem den Gästen den
Vortritt, So kam mancher nicht ganz auf seine Rechnung, Wegen der Vorbereitungen für
das Fest und um den glanzvollen Ablauf zu gewährleisten, mußten wir auf
Manches verzichten. Dafür fanden sich am Montag-Nachmittag zur Nachfeier alle
Turnbrüder mit ihren Angehörigen zu einem Kaffee in MASCHIK's Garten (SCHARFF
- Böhmwitz) zusammen. Hier kamen nun auch die Tänzer noch vollauf zu ihrem
Recht,
Das Fahnenweihefest, das von herrlichstem Wetter begünstigt wurde, war also ein
voller Erfolg, und die Früchte zeigten sich in einem ganz bedeutenden Aufschwung
des Turnens in Namslau. Überall, wo wir mit unserer schönen Fahne hinkamen,erregten
wir Aufsehen. Und wir waren stolz darauf, unter dieser Fahne zu stehen.
Im Jahre 1911 verließ ich Namslau. Darum mögen nun andere, jüngere
Brüder über die folgenden Jahre berichten,
Frater Juventius Z i e m b a
Kloster der Barmherzigen Brüder,
Frankfurt a.M. Unterer Atzemer 7
Heimtruf Nr.26 Ostern 1963
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