Wasserversorgung in Namslau um die Jahrhundertwende

von Paul Boja

Wir sind im Zeitalter der Technik gewöhnt, das Wasser aus dem Kran an der Wand zu entnehmen, die Abwässer des Spülbeckens, der Badewanne und der Toilette im, Rohr verschwinden zu sehen, und machen uns kaum noch Gedanken darüber, daß alle diese Bequemlichkeiten vor etwa 70Jahren nicht selbstverständlich waren. So möchte ich den Älteren aus Namslau einmal die Erinnerung an die "gute alte Zeit" zurückrufen, aber auch der jüngeren Generation einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben von damals in unserer lieben Heimatstadt Namslau geben.
Vielleicht bestand etwa um 1908 schon auf manchem Grundstückin Namslau eine eigene Pumpanlage, die das Haus mit Wasser versorgte; im allgemeinen jedoch waren die Bürger auf die öffentlichen Pumpen zur Wasserentnahme angewiesen. So stand an der Ecke Ring-Peter-Paulstraße, vor dem Textilgeschäft Holländer, die sogenannte Cohn-Pumpe. Meine Eltern wohnten damals Ring 21, bei Fleischermeister Reibnitz, vormals Friseurgeschäft Hirschberg, später Fleischerei Weiß, zwischen Kaufmann Gollnisch und Bäckerei Titze. Wenn ich mittags aus der Schule kam, begann das Wassertragen, Meine Schwestern bewaffneten sich mit Kannen und Eimern - ich selbst war für die großen Kannen noch zu klein und durfte eine 2 Litermilch-kanne nehmen - und holten an der Cohn - Pumpe Wasser. Dieses galt als besonders schmackhaft. Da standen wir nun, im Gänsemarsch angestellt, und warteten, bis wir drankamen; denn der Andrang war besonders im Sommer sehr stark. Ein langer Pumpschwengel mußte mit ziemlicher Kraft, die ich noch nicht aufbringen konnte, bewegt werden, um das Wasser zutage zu fördern. Vorsichtig, um das kostbare Naß nicht unterwegs zu verschütten, trippelten wir über den Ring unserer Wohnung zu. Dort wurden die Gefäße in die "Stande", einen Emaillebottich, der etwa 70 bis 80 Liter faßte, entleert. Einige Male mußten wir zur Pumpe laufen, um die "Stande" zu füllen. Am Abend war sie durch Waschen, Spülen und Kochen schon wieder leer, und da begann das Wasserholen von neuem, damit Mutter am nächsten Vormittag ausreichte. Wenn die Cohn - Pumpe sehr besetzt war, gingen wir zur Bittner-Pumpe auf der Schützenstraße, gegenüber vom Schuhgeschäft Robotta. Wenn beide Pumpen kein Wasser mehr hatten, mußten wir auch bis zur Spätlich-Pumpe, in der Gasse von der Krakauer Straße zur katholischen Kirche bei Gasthaus Spätlich, laufen. Zwar stand in einer Pfeilernische an der Ostseite des Rathauses auch eine Pumpe. Aber daran war ein Schild angebracht:"Kein Trinkwasser", so daß wir dort kaum Wasser holen konnten, obwohl diese Stelle für uns am nächsten lag. An weitere Pumpen kann ich mich nicht mehr erinnern, da sie sich außerhalb unseres Wohnbezirkes befanden. Im Winter bekamen die Pumpen ein dickes Kleid aus Strohseilen. So waren aus den schlanken "Pumpendamen" dicke "Marktfrauen" geworden.
Am fortschrittlichsten in Bezug auf die Wasserversorgung war damals der Bahnhof, der mit seinem Wasserturm eine eigene Leitung hatte. Das Pumpwerk lag zuerst gegenüber vom Bahnhof hinter den Gleisen und wurde später an die Breslauer Strecke, bei der Kielbrücke, verlegt. Mit meinem Vater, der ja Eisenbahner war, durfte ich oft das Pumpwerk besichtigen und die gewaltigen Maschinen, für die damalige Zeit wirklich Wunderwerke, bestaunen. Pumpmeister war Herr Wloch. Im Bahnhofsvorgarten stand der Wasserturm. Seine Besteigung auf eisernen Leitern bis zum Wasserbehälter war für mich immer ein großes Erlebnis.
Ein Problem für die Wasserversorgung der einzelnen Haushalte bildete stets die Wäsche. Die Wassermengen, die dazu gebraucht wurden, konnten die Pumpen der Stadt nicht liefern. Deswegen war es auch von selten der Stadtbehörde verboten, Trinkwasser für die große Wäsche zu verwenden. So mußte es aus der Weide geholt werden. Schon einige Tage vorher wurde eine Holztonne, die zwischen zwei großen Rädern balancierte, für eine be-stimmte Stunde bei einem Verleiher bestellt. Wir holten sie immer aus einem Hof an der Bahnhofstraße, gegenüber von Konditorei Koschwitz. Dort standen etwa 4 bis 5 solcher Tonnen zum Verleih bereit. Nun trat die ganze Familie zur Fahrt an die Weide an. Rechts und links vom Wassertor konnte man auf Treppen ans Wasser gelangen. Wir stellten uns zu einer Eilnerkette auf, und so war die Tonne schnell gefüllt. Ich als Kleinster vergnügte mich inzwischen mit aufgestreiften Hosen in der Weide und sprang von einem der drei großen Findlingssteine unter der Brücke zum anderen. Selbstverständlich war mein IHosenboden bald naß; aber im Sommer tat eine solche Abkühlung ganz gut. Nun wurde auf die gefüllte Tonne ein Sack gelegt, damit das Wasser beim Fahren über die holprigen Steine nicht "verschlackert" wurde. Darauf kam der mit Scharnieren an der Holztonne befestigte Deckel. Da die Wassergasse nach dem Ring zu eine starke Steigung hatte, mußten alle Mann ran, um die volle Tonne vorwärtszubewegen. Vater und Mutter zogen an der Deichsel, andere Leute, die zufällig auch Wasser holten, griffen beim Anziehen in die Speichen der Räder, um erst einmal das stehende schwere "Gefährt" in Gang zu bringen. Wir Kinder schoben hinten nach Kräften mit. Von der Mitte des Ringes die Bahnhofstraße hinunter auf die Lange Straße zu, wo das Grundstück Reibnitz eine Ausfahrt hatte, rollte die Tonne wegen des Gefälles von selbst. Die Fahrt an die Weide wiederholte sich zwei- bis dreimal hintereinander. Da die Tonne nicht bis in den Hof gefahren werden konnte, mußte das Wasser von der Straße bis zur Waschküche in Eimern getragen werden. Dafür standen genügend Holzschäffer bereit. Welch große Umstände! Zum "Schweifen" fuhren wir mit Mutter die Wäsche auf "einer Karre" an die Weide. Am Wassertore und an der Mühle waren zu diesem Zwecke Tische und Trittbänke angebracht, so daß die einzelnen Wäschestücke bequem gespült werden konnten. Uns Kindern machte es viel Spaß, im Wasser watend, eine Schürze oder ein Handtuch hin- und herzuziehen. Nun wurde die Wäsche "ausgewunden" und in den Korb gelegt.
Die damals üblichen "Fleckenläufer" wusch Mutter immer an der Mühle, da dort besonders lange Tische im Wasser vorhanden waren. Was stellt man sich nun unter einem "Fleckenläufer" vor? Stoffreste wurden in Streifen geschnitten, nach Farben geordnet zusammengenäht, zu großen "Kugeln" gewickelt und dann zur Weberin nach Kaulwitz gebracht. Nach einigen Wochen bekamen wir dann die fertigen Läufer geliefert.

Interessant war für uns Kinder auch noch das "Mangeln" der Wäsche. Bei Koschwitz im Keller, Eingang von der Langen Straße, befand sich die "Mangel". Die Besitzerin war Frau Steinfest, die später bei Fleischermeister Heber, Schützenstraße, wohnte. Heißmangeln gab es damals noch nicht. Ein Holzkasten von etwa vier Meter Länge und einem Meter Höhe und Breite, gefüllt mit schweren Steinen, bewegte sich auf zwei Walzen hin und her. Auf diese Rollen wickelte Frau Steinfest die Wäsche, Mutter drehte eine große Kurbel und schob so das Mangelungetüm vorwärts und rückwärts. Schön glatt kam die Wäsche in den Korb.
Nun aber zu unserer Wasserversorgung zurück. Um 1910 wurde die Wasserleitung gelegt. Man sagte damals, die Namslauer Stadtväter säßen sehr gern auf dem vollen Geldsäckel und wären deswegen so spät an den Bau der Wasserleitung herangegangen. Diese Zeit war für uns Jungen eine Quelle von Freuden. Kaum hatten die Arbeiter die Gräben, die natürlich mit dem Spaten ausge-hoben werden mußten - Bagger gab es noch nicht - verlassen, so nahmen wir "Rangen" das unterirdische Reich in Besitz. Da gab es ein Laufen und Springen trotz der Aufsicht des gestrengen Polizisten Schadloch. So manche echte "Schnickerei" wurde da unten ausgetragen. Welche Begeisterung herrschte aber, als endlich das Wasser durch den Kran aus der Wand floß. Natürlich bekam nicht etwa jede Wohnung einen Wasseranschluß, sondern eine Zapfstelle im Hause genügte für sämtliche Mieter, bzw. für das entsprechende Stockwerk. Ich trug damals wochenlang ein Medizinfläschchen in der Tasche. Wenn ich am Kran im Hausflur vorbeiging, füllte ich es mit Wasser und goß es auf der Straße wieder aus. So viel Freude machte mir das Auf- und Zudrehen des Kranes. Die Brunnen und das Pumpwerk wurden auf den nassen Wiesen zwischen der Simmelwitzer Chaussee und der Carlsruher Bahnstrecke gebaut. Der erste Werkmeister der Pumpstation hieß Skotnik. Zur gleichen Zeit entstand auch der Wasserturm auf dem Viehmarkt bei der Kaserne, der mit seinem erweiterten Oberbau die östliche Vorstadt vom Piezonkaplatz bis nach Böhmwitz wie eine Glucke ihre Küchlein unter seinen Schutz zu nehmen schien.
So verschwanden mit dem Bau der Wasserleitung die "wassertragenden" Kinder aus dem Straßenbild; aber Namslau wurde durch die fortschreitende Bequemlichkeit auch ärmer an seiner Kleinstadtromantik.


Baujahr 1911 bis in die 70er Jahre in Betrieb - steht heute im Wasserwerk