Kathedrale zu Breslau
Das IV. Kulturfestival der Deutschen in Polen
Hl. Messe am 29.09.2012 - Samstag - 9.30
Sehr geehrter Herr Erzbischof Marian Go??biewski,
Sehr geehrte Geistliche, Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
Liebe evangelischen Freunde, Liebe Gäste aus Nahe und Fern,
Liebe Freunde der deutschen Kultur -
Am heutigen Tag treffen in diesem Gottesdienst zwei Schwerpunkte zusammen: das Fest
der deutschen Kultur und das Fest der Erzengel Michael, Gabriel und Rafael. Zu Beginn
dieser Betrachtung stellen wir gleich die Frage: was verbindet diese beiden Feste?
Kultur und Erzengel - paßt das zusammen? Sollten wir die geistigen Wesen, die
man als Boten Gottes kennt nicht lieber weglassen? Werden derartige unsichtbare Lebewesen,
die Gott - den biblischen Texten nach - als Helfer zu den Menschen schickt - heute
gebraucht? Michael heißt: Wer ist wie Gott; der Name Gabriel bedeutet: Kraft
Gottes; und der Name Rafael wird mit Gott heilt übersetzt. Braucht die Menschheit
einen Gott, brauchen die Menschen seine Kraft, sein Heil und seine Heilung? Braucht
ihn die deutsche Kultur?
Auf der Suche nach einer Antwort wollen wir uns drei Perspektiven widmen.
1. Die erste Perspektive: Was ist Kultur?
Viele meinen es zu wissen - wenige können es in Worte fassen.
Eine deutliche Beschreibung der Kultur hat das 2. Vatikanische Konzil in seiner Konstitution
Gaudium et spes (Freude und Hoffnung) formuliert (Nr. 53). Da lesen wir u. a.:
Unter Kultur im Allgemeinen versteht man:
- alles wodurch der Mensch seine vielfältigen geistigen und körperlichen
Fähigkeiten ausbildet und entfaltet;
- alles wodurch der Mensch sich der Welt in Erkenntnis und Arbeit zuwendet, damit sie
ihm mit all seinem Natur-Potential dienen kann;
- alles wodurch der Mensch das gemeinschaftliche Leben in der Familie und in der ganzen
bürgerlichen Gesellschaft menschlicher gestaltet;
- alles wodurch der Mensch seine großen geistigen Erfahrungen und Strebungen
im Laufe der Zeit in seinen Werken festhält und sie mitteilt zum Segen vieler,
ja der ganzen Menschheit.
Zur Kultur - nach der Sicht der Konzilsväter aus den 60er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts - gehört die Arbeitsgestaltung, die Religion, die Sittlichkeit, die
Gesetzgebung, die Entwicklung in Wissenschaft und Technik, wie auch die Kunst in allen
ihren Formen.
In diesem gesamten Spektrum spielt natürlich die Sprache eine zentrale Rolle
- denn dank ihr wird das gesamte menschliche kulturelle Bestreben verständlich
gemacht. Inmitten der Kultur steht das WORT der Wahrheit. Diese umfassend gesehene
Realität ist ein Gut aller Menschen.
2. Die zweite Perspektive: Ist es notwendig, dass die Kultur von Gott und seinen Gesandten
geschützt wird?
Liebe Schwestern und Brüder: JA! Denn der Mensch unterliegt verschiedenen Verführungen
und ist dadurch geneigt sich und die menschliche Kultur zu verraten. Wie wir in der
zweiten Lesung aus der Offenbarung des Johannes (Offb 12,7-12a) gehört haben:
Der böse Geist ("der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder
Satan heißt" - Offb 12,8) verführt die Welt wodurch der Mensch selbst
versagt.
a) Man schrieb das Jahr 1871 - der Kulturkampf begann sich auszubreiten. Der Breslauer
Bischof Heinrich Förster wurde am 13. Dezember 1873 vom Gericht der Stadt Breslau
zu einer hohen Geldstrafe bzw. zu 2 Jahren Haft verurteilt, weil er sich an die Anordnungen
des Preußischen Staates nicht gehalten hat. Das Theologiekonvikt wurde 1876 geschlossen.
Die Ausbildung von Geistlichen unterbrochen. 1881 hat es im Bistum Breslau über
eine halbe Million Katholiken ohne seelsorgliche Betreuung gegeben (545 490). Im Regierungsbezirk
Oppeln hat man den Unterricht in polnischer Sprache untersagt (20. August 1872) - und
durch diesen Eingriff den gesellschaftlichen Frieden zerstört und die Menschen
gegeneinander ausgerichtet.
Muss denn nicht die Kultur von Gott durch seine Gesandten geschützt werden?
b) Die nationalsozialistische Diktatur von 1933 bis 1945 - wieviel hat sie an Kultur
zerstört? Ganze Völker samt ihrem kulturellen Erbe sollten ausgerottet werden.
Stellvertretend für alle Opfer des letzten Weltkrieges denke ich besonders an
das Volk Israel, an die Juden, Polen und die südlichen Nachbarn. Aber anderen
ging es nicht besser. Und die Zerstörung dieser wunderschönen Stadt Breslau
und der Ortschaften Schlesiens? Die Vernichtung der Architektur, der Literatur in Bibliotheken
und Archiven wie zahlreicher Kunstschätze - hat ihren Ausgangspunkt in dem wahnsinnigen
Denken gegen die Menschen und ihre Kultur gehabt.
Muss denn nicht die Kultur von Gott geheilt und durch seine Boten aufgebaut werden?
c) Und am Ende des Krieges? Die Flucht und Vertreibung, die plötzliche heimatliche
Entwurzelung! Was war das? Nichts anderes als ein Anschlag auf die Kultur, der von
den Kommunisten hier zu Lande fortgesetzt wurde. Wie erging es den Deutschen darunter?
Kulturell wurden sie an den Rand des Überlebens getrieben und nur mit größter
Mühe ist es ihnen gelungen in den Familien den Kern der eigenen Identität
vor der Assimilierung zu retten und zu bewahren. Die Kirche stand ihnen zu dieser Zeit
- leider - nur tröstend zur Seite.
Muss denn nicht um so mehr die Kultur von Gott durch seine Gesandten beschützt,
geheilt und gerettet werden?
3. Die dritte Perspektive: Kann das Deutsche Erbe von Gott durch seine "Beauftragten"
in Schutz genommen werden? Kann Gott der deutschen Kultur in Polen durch seine Gesandten
zum Aufblühen verhelfen?
Über den Einsatz der Erzengel zur Rettung der deutschen Kultur kann ich direkt
nichts sagen. Nimmt man aber die Funktion der Engel in Betracht, so kommen wir zu der
Folgerung: Es hat in der jüngsten Geschichte der Deutschen in Polen (besonders
derjenigen in Schlesien) die Boten des Heils gegeben, Menschen die sich rettend und
fördernd für die deutsche Kultur eingesetzt haben.
a) Zum 30 Mal jährt sich am Montag in zwei Tagen die Wahl von Helmut Kohl zum
deutschen Kanzler. Jeder kann es für sich deuten, jeder kann den Kanzler parteipolitisch
und gesetzmäßig nach verschiedenen Gesichtspunkten einordnen. Versucht man
aber heilsgeschichtlich, in der Optik des Glaubens zu denken - ohne die Vernunft zu
vergessen - war das (bei allen Schwierigkeiten die zu bewältigen waren und sind)
eine Wahl, die Deutschland die Wiedervereinigung brachte! Es war die Wahl, welche das
Verhältnis von Franzosen und Deutschen auf den Weg der Freundschaft bewegte. Es
war die Amtszeit, die im schlesischen Kreisau, in der Nähe von Schweidnitz, einen
sehr wichtigen Grundstein für die Versöhnung und gegenseitige Hochachtung
zwischen dem deutschen und polnischen Volk legte.
Drei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer am 12. November 1989 (der die polnische
Bewegung "Solidarno??" und Papst Johannes Paul II. einen kräftigen Schub
verpaßten), während der Eucharistiefeier, die der damalige Bischof von Oppeln,
Erzbischof Alfons Nossol, geistig gestaltet und geleitet hat, haben sich der polnische
Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl
das Zeichen des Friedens gegeben. Beide Staatsmänner hatten sich umarmt. In der
eucharistischen Gegenwart Christi haben sie in Stille, aber sehr deutlich, zum Ausdruck
gebracht: Der Friede sei mit dir und dem polnischen Volk; der Friede sei mit dir und
mit allen Deutschen!
Manche würden sagen: Andere hätten es auch zu Stande gebraucht. Dies schließt
niemand aus. Nur diese Persönlichkeiten haben es verstanden die Gunst der Stunde
zu nutzen, um gegen alle Befürchtungen den Schritt der Versöhnung und Offenheit
füreinander zu wagen.
b) Und wir? Was können wir in den verschiedenen Regionen Polens für die deutsche
Kultur tun?
Wir sind keine Engel - aber wir sind dazu berufen Boten, Gesandte, Beschützer
und Förderer der deutschen Kultur zu sein.
Das ist kein Zufall, dass einem das Amt des deutschen Botschafters in Polen anvertraut
wurde, andere sind im Dienst der Konsulate tätig oder wurden in das polnische
Parlament gewählt. Das ist kein Zufall, dass der Verband der Deutschen Gesellschaften
in Polen seinen Präsidenten und zuverlässige Mitarbeiter hat. Das ist kein
Zufall, dass die Sozial-Kulturellen Gesellschaften und die DFK´s vor Ort gut
organisiert sind und viele aktive Mitglieder haben. Das ist kein Zufall - denn überall
dort schlägt die Gunst der Stunde, die man nutzen kann. Mann muss sich aber als
der Gesandte verstehen, der Bote Gottes, der die einmalige Chance hat für die
deutsche Kultur einzutreten, sie retten, fördern und entfalten. Daher sei Allen,
die diesen Tag vorbereitet haben und noch gestalten werden herzlichst gedankt. Das
ist eine Großtat für Jetzt und die Zukunft! Diesen Dank spreche ich auch
im Namen des amtierenden Bischofs von Oppeln Andrzej Czaja aus.
Die Zusage Gottes ist klar - "Ich werde einen Engel schicken, der dir vorausgeht.
Er soll dich auf dem Weg schützen (...). Achte auf Ihn und hör auf seine
Stimme" (Ex 23,20-21).
Die Gegenwart Gottes ist greifbar nahe hier in der Eucharistie, in der Person des Menschensohnes
- in der Person Jesu Christi (vgl. Joh 1,50-51). In seinem Namen - ob evangelisch oder
katholisch, ob im Glauben tief verankert, ob suchend oder zweifelnd - sind wir dennoch
alle gemeinsam Gesandte, die der deutschen Kultur in dem großartigen Land der
Erneuerung, in Polen, Zukunft verschaffen können. Amen.
Dr. Piotr (Peter) Tarlinski
Theologische Fakultät der Universität Oppeln
Seelsorger der Minderheiten im Bistum Oppeln
Direktor der Caritas Zentralbibliothek
ul. Szpitalna 7a
PL - 45-010 OPOLE
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