|
Der Kreistag des Kreises Euskirchen hat in seiner Sitzung
vom 22. März 1955 den einstimmigen Beschluß gefaßt, für den schlesischen
Landkreis Namslau die Patenschaft zu übernehmen. Wie kam es zu einer solchen Patenschaftsübernahme?
Eine der bösesten Folgen des verlorenen Krieges war die Vertreibung von Millionen
Deutschen aus ihrer angestammten Heimat in Ost- und Westpreußen, Schlesien, Pommern
und Brandenburg, aus den Sudetenländern, Siebenbürgen und aus vielen anderen
Teilen der engeren und weiteren Heimat, wo sie seit Jahrhunderten gesessen hatten.
Das arme und zerschlagene Restreich nahm sie auf und versuchte, ihnen Arbeit und Brot
zu geben. Nachdem der erste Schmerz überwunden und ein neues Gefühl des Lebenmüssens
gekommen war, schlossen sich bei uns in der Bundesrepublik Deutschland die Angehörigen
deralten Provinzen zu Landsmannschaften und die Angehörigen der Kreise und Städte
zu Einzelorganisationen zusammen, um ihr Heimatgefühl zu erhalten und um in heimatlicher
Treue dem anderen zu helfen.
Den Vertriebenen das Gefühl zu geben, nicht allein zu stehen, nicht nur mit eigener
Kraft vorwärts kommen zu müssen, sondern den anderen dabei zurSeitezu haben,
das waren die Gedanken, die zu den ersten Patenkreisen führten. Diese Übernahme
der Patenschaften wurde als gesamtdeutsche Verpflichtung der Kreise und Städte
der Bundesrepublik Deutschland empfunden, wobei von den Spitzenverbänden gewisse
Grundsätze aufgestellt wurden, nach denen Kreise zu Kreisen, Städte zu Städten
geführt werden sollten. Schon vor zwei Jahren hat der Landkreistag den Kreis Euskirchen
aufgefordert, sich dem Beispiel der Nachbarkreise anzuschließen. Der Kreis Namslau
war uns als Patenkreis empfohlen worden, da er noch nicht von einem anderen westdeutschen
Kreis übernommen worden war. Wir haben in den Ausschüssen des Kreises lange
mit dem Gedanken gerungen, ob und wie wir es unseren Brüdern aus dem Osten erleichtern
können, über ihr Schicksal hinwegzukommen, indem wir eine Patenschaft übernehmen.
Das Ergebnis der vielen Besprechungen mitden Vertretern des Kreises Namslau war der
einstimmige Beschluß vom 22. März 1955.
ll. Die Begründung der Patenschaft
1. Niederschrift über die Sitzung des Kreistags am 22. März 1955 im großen
Sitzungssaal des Kreishauses Euskirchen 2
Auszug
Der Kreistag besteht aus 40 Mitgliedern. Anwesend sind:
Als Vorsitzender: Landrat Heinrich-August Metzler, Iversheim, CDU, und weitere 36 Mitglieder.
Entschuldigt fehlen: Frings, Laurenz, Münstereifel, CDU, Merten, Wilhelm, Weilerswist,
CDU, Emunds, Johann, Roggendorf, CDU.
Von der Verwaltung sind anwesend: 1. Oberkreisdirektor Dr. Rütten;
2. die Herren Dezernenten: Kreisrechtsrat Disse, Kreisarzt Dr. Klein, Kreisverwaltungs
rat Dr. Verbeek, Kreisfinanzdirektor Lennartz, Kreisbaurat Dipl.-Ing. Schmitz
Dumont, Kreisschulrat Klempt, Kreisamtmann Krux, Kreisamtmann Felten; 3. Kreisangestellte
Wirtz,
die Herren: Landesbahnamtmann z. Wv. Neizel, Referendar Rosenbaum, Kreisinspektor Keul
als Leiter des Rechnungsprüfungs- und Gemeindeprüfungsamtes; 4. Kreisinspektor
Linden als protokollierender Beamter.
Von der Presse sind anwesend: je ein Vertreter der Kölnischen Rundschau und des
Kölner Stadtanzeigers.
Punkt 1: Eröffnung
Landrat Metzler eröffnet die Sitzung um 14.40 Uhr. Er heißt die Herren Kreistagsmitglieder,
die Herren der Verwaltung und der Presse sowie die Zuhörer herzlich willkommen.
...
Außerhalb der Tagesordnung:
Punkt 2: Übernahme der Patenschaft für den Landkreis Namslau
Der Kreistag beschließt einstimmig bei Abwesenheit Weber (FDP) die Übernahme
der Patenschaft für den Landkreis Namslau. Die für diesen Zweck zur Verfügung
gestellten 3000 DM werden außerplanmäßig zur Verfügung gestellt.
2. Die feierliche Kreistagssitzung am 3. November
1955
a) Niederschrift über die festliche Kreistagssitzung am 3. November 1955 anläßlich
der Übernahme der Patenschaft über den schlesischen Landkreis Namslau 3
Der Kreistag besteht aus 40 Mitgliedern. An der Sitzung
nehmen teil: Als Vorsitzender: Landrat Heinrich-August Metzler, Iversheim, CDU, und
weitere 34 Mitglieder.
Entschuldigt fehlen: Jüssen, Robert, Erp, CDU; Kurth, Josef, Zülpich, SPD;
Wagner, Nikolaus, Gymnich, SPD; Radmacher, Edmund, Dirmerzheim, FDP. Unentschuldigt
fehlen: Riehm, Franz, Erp, SPD.
Von der Verwaltung nehmen teil:
1. Oberkreisdirektor Dr. Rütten;
2. die Herren Dezernenten: Kreisrechtsrat Disse, Obermedizinalrat Dr. Klein, Kreisverwaltungsrat
Dr. Verbeek, Kreisfinanzdirektor Lennartz, Kreisbaurat Dipl.-Ing. Fritsche, Kreisvermessungsrat
Dipl.-Ing. Schmitz-Dumont, Regierungsbaumeister a. D. Kleuker, KreissparkassendirektorSchlömer,
Kriminalkommissar Görig, Schulrat Klempt;
3. Kreisamtmann Krux, Kreisinspektor Keul, Referendar Nehring, Kreisangestellte Wirtz,
Kreisinspektor Linden als protokollierender Beamter.
Als Gäste sind anwesend:
1. 32 Damen und Herren des Landkreises Namslau mit Landrat a. D. Dr. Heinrich an der
Spitze;
2. Frau Oberregierungsrätin Dr. Ellscheid von der Regierung Köln;
3. die Herren Stadt- und Amtsbürgermeisterdes Kreises mit vierAusnahmen sowie
der
Gemeindebürgermeister der Gemeinde Kommern, soweit sie nicht Mitglieder des
Kreistages sind;
4. die Herren Stadt-, Amts- und Gemeindedirektoren des Kreises; 5. Herr Realschullehrer
Engels, Euskirchen;
6. zwei Klassen der Mädchenoberschule Euskirchen unter Führung von Studienrätin
Frl. Thiele.
Es wirken mit: der Schülerchor der Realschule des Kreises und der Stadt Euskirchen
unter Leitung von Studienrat Dr. Sambeth sowie Sprecher der gleichen Schule unter Leitung
von Realschullehrerin Frl. Frommer.
Von der Presse sind anwesend Vertreter a) der Kölnischen Rundschau, b) des Kölner
Stadtanzeigers.
Ein strahlender Herbsttag liegt über der Kreisstadt, als sich die Damen und Herren
des schlesischen Landkreises Namslau unter Führung des letzten amtierenden Landrats
von Namslau, Herrn Dr. Heinrich, und die Herren der Kreisvertretung, an der Spitze
Herr Landrat Metzler sowie Herr Oberkreisdirektor Dr. Rütten mit seinen leitenden
Beamten zur festlichen Kreistagssitzung im Sitzungssaal des Kreishauses versammeln.
Vor dem Kreishause und auch im Sitzungssaal grüßen die Kreisflaggen beider
Kreise die Teilnehmer der festlichen Stunde. Der Schülerchor der Realschule Euskirchen
unter Leitung von Studienrat Dr. Sambeth eröffnet die festliche Kreistagssitzung
mit dem Chor "Brüder reicht die Hand zum Bunde".
Anschließend lassen Schülerinnen und Schüler der gleichen Lehranstalt
schlesische Dichter zu Wort kommen. Der Chor "Nichts kann uns rauben" leitet
über zur Festansprache des Landrats des Landkreises Euskirchen, Landrat Metzler.
Im Verlaufe der Ansprache verliest Landrat Metzlerdie Patenschaftsurkunde,
die, künstlerisch angefertigt, folgenden Wortlaut hat:
"Der Landkreis Euskirchen hat durch einstimmigen Beschluß seines Kreistages
vom 22. März 1955 die Patenschaft über den Landkreis Namslau übernommen.
Der Kreis Euskirchen soll damit eine neue geistige Heimat für die aus ihren angestammten
Landen Vertriebenen werden.
In einem Fenster des Kreistagssitzungssaales wird das Wappen des Kreises Namslau auch
in späterer Zeit an diese Patenschaft erinnern. Wir hoffen aber, daß die
Fahne des Kreises Namslau und diese Urkunde bald einmal ihren Platz im Sitzungssaal
des Kreishauses Namslau in der alten Heimat haben werden.
Metzler
Landrat
Die Fraktionsvorsitzenden:
Fellmann CDU Göring SPD Freiherr von Coels FDP
Dr. Rütten
Oberkreisdirektor"
In der Hoffnung, daß der am Schluß der Urkunde ausgesprochene Wunsch bald
in Erfüllung gehen möge, übergibt Landrat Metzleran den letzten Landrat
des Landkreises Namslau, Dr. Heinrich, die Patenschaftsurkunde.
Landrat Dr. Heinrich gibt seiner Freude über die Übernahme der Patenschaft
mit dem Wunsche Ausdruck, daß sie sich für die Bevölkerung beider Kreise
segensreich entwickeln möge. Der Dank des Redners gilt dem Kreistag und seinem
Vorsitzer, Landrat Metzler, sowie Oberkreisdirektor Dr. Rütten für die Patenschaftsübernahme.
Als sichtbaren Ausdruck des Dankes überreicht Landrat a. D. Dr. Heinrich Landrat
Metzler und Oberkreisdirektor Dr. Rütten je ein wertvolles Buch über Schlesien.
Mit dem gemeinsam gesungenen Lied "Mein Schlesierland" und der dritten Strophe
des Deutschlandliedes klingt die gehaltvolle Feierstunde aus.
b) Ansprache des letzten Landrats des Kreises
Namslau, Dr. Ernst Heinrich, anläßlich der feierlichen Übernahme der
Patenschaft durch den Kreis Euskirchen am 11. November 1955 4
Schon viele deutsche Städte und Landkreise im Westen haben Patenschaften für
ostdeutsche Städte und Kreise übernommen, und der Gedanke der Patenschaft
Euskirchen-Namslau ist schon seit geraumer Zeit zwischen den Vertretern beider Kreise
erörtert worden. Es hat vielleicht etwas länger gedauert als bei ähnlichen
Verbindungen dieser Art, bis sie zustande gekommen ist. Aber ich glaube, unsere Patenschaft
steht unter dem Stern: "Was lange währt, wird gut!" Die steigende Herzlichkeit
zwischen den Vertretern des Kreises Euskirchen und des Kreises Namslau bei allen Verhandlungen
und der Wille aller Beteiligten, die Wünsche der anderen Seite zu erfüllen,
bürgen dafür, daß dieses Patenschaftsverhältnis sich gut und segensreich
für beide Teile entwickeln wird. Möge dieser Geist auf die heutige Festversammlung
überspringen und sich auf die Bevölkerung beider Kreise ausdehnen, wenn es
im Jahre 1956 zum ersten Heimattreffen der Namslauer in ihrem Patenkreis Euskirchen
kommt.
Mit der Übernahme der Patenschaft durch den Kreis Euskirchen über den Kreis
Namslau wölbt sich ein weiter Bogen über das deutsche Vaterland. Hier eine
Landschaft und Menschen, die fest an der westlichen Ecke Deutschlands verankert sind,
und dort Menschen, die direkt an der Ostgrenze des Deutschen Reiches ihre Heimat haben.
Die Lage Deutschlands im Herzen Europas bedingt es, daß große Wanderungen
seiner Bevölkerung stattgefunden haben und daß deutsche Menschen oft unter
fremder Herrschaft leben mußten.
Noch vorwenigen Jahren sind wir alle Zeuge deutscher West-Ost- und Ost-West-Wanderungen
gewesen. Als der letzte unselige Krieg an die westlichen Tore des deutschen Vaterlandes
klopfte, wanderten viele Mütter und Kinder nach Schlesien, das damals der Luftschutzkeller
des Deutschen Reiches genannt wurde, und fanden auch im Kreise Namslau für zwei
bis drei Jahre eine friedliche Zuflucht. So kam es, daß die Wiege manches rheinischen
Jungen und manches rheinischen Mädchens in Schlesien steht. Väter und Großeltern
kamen zum Besuch der rheinischen Frauen und Kinder in die Landschaften der Oder und
des Riesengebirges. Sie lernten dabei die Schönheiten der Landschaft und die Gastlichkeit
seiner Bewohner kennen. Aber dann fluteten die Menschen vom Osten nach dem Westen.
Nun weiß jeder von dem anderen, wie dessen Heimat aussieht, und kann ermessen,
was der eine verloren und was der andere behalten hat.
Für uns alle ist es unstreitig, dar die rheinische Landschaft alter deutscher
Kulturboden ist. Viele Baudenkmäler und Kirchen geben im Kreise Euskirchen davon
Zeugnis. Wenn ich einige Worte mehr über die Geschichte des Patenkindes Namslau
verliere, so geschieht es, um die Zweifler zu widerlegen und ihnen zu beweisen, dar
Namslau ein rein deutsches Patenkind ist. Gerade der Kreis Namslau ist uralter germanischer
Siedlungsboden, wo Vandalen und Wikinger schon 500 Jahre v. Chr. ihre Wohnstätten
hatten. Dies wird bekundet durch eine grore Anzahl von Fundstätten mit reichhaltigen
Belegstücken. Diese ostgermanische Siedlungszeit dauerte bis 450 n. Chr. und wurde
abgelöst durch eine Zeit bis 1200, in der Germanen und Slawen in Walddörfern
friedlich nebeneinander lebten.
Die Besiedlung Schlesiens mit modernen Dorf- und Stadtformen begann im frühen
Mittelalter. Kaiser Karl IV. hatte die Burg und Stadt Namslau besonders in sein Herz
geschlossen. Viermal eilte er zwischen 1352 und 1380 von Prag nach Namslau und gab
persönlich Anweisungen zur Befestigung der Stadt. Das Wissen um den Trentschiner
Vertrag von 1335 sollte Allgemeingutwerden für alle Deutschen; denn in diesem
Vertrag verzichtete Polen auf alle vom böhmischen König abhängigen Gebiete.
Das bedeutet, daß das Schlesien mit seinen Grenzen von 1335 an bis 1914 ununterbrochen
deutsches Gebiet gewesen ist.
Die Ortslagen, die Gutshöfe, die Schlösser und Kirchen, die von 1200 bis
in unsere Zeit hinein im Kreise Namslau entstanden sind, künden alle davon, dar
nur deutsche Menschen an ihrer Entstehung beteiligt gewesen sind. Durch glückliche
Umstände sind uns zahlreiche Bilder und Karten erhalten geblieben, so dar in einer
Heimatstube im Patenkreis hoffentlich dies alles zusammengetragen werden kann.
Jeder Mensch, und besonders jeder deutsche Mensch, ist davon überzeugt, dar seine
Heimat besonders schön ist. Und wenn ich trotzdem sage, dar Schlesien eine Landschaft
von überragender Schönheit war und es trotz aller Kriegsschäden wohl
geblieben ist, so möchte ich Sie alle an die Worte Friedrichs des Groren erinnern,
der vor 200 Jahren Deutschland von Ostpreuren bis zum Rheinland und von Stettin bis
Bayern kannte und doch sagte: "Schlesien ist die Perle in meiner preurischen Königskrone!"
Deshalb hat er diese Perle in 23 Friedensjahren so besonders gepflegt, woran der Kreis
Namslau durch die Errichtung von etwa 15 neuen Dörfern mitfriederizianischen Namen
margeblich beteiligt ist. Aus der Zeit der Freiheitskriege sind die beiden schlesischen
Heerführer Fürst Blücher, genannt Marschall "Vorwärts",
und Yorck von Wartenburg noch vielen Deutschen bekannt. Yorck von Wartenburg holte
sich vor dem Freiheitskriege seine Frau aus der Stadt Namslau.
Ein leuchtendes Beispiel der Treue zum deutschen Vaterland haben die Oberschlesier
bei den Kämpfen am Annaberg und bei der Abstimmung im März 1921 gegeben.
Der Ostteil des Kreises Namslau gehörte als einziger niederschlesischer Bezirk
mit zum oberschlesischen Abstimmungsgebiet. Bei dieser Abstimmung bekannte sich die
Bevölkerung fast in jeder Ortschaft mit 100% zu Deutschland.
Wie fest die Namslauer an ihrer Heimat hängen, geht daraus hervor, dar von der
Bevölkerung der Stadt Namslau allein zweitausend Menschen nach der Kapitulation
im Mai 1945 von der westlichsten Ecke des Sudentenlandes zu Fur zurückgewandert
sind in eine Stadt, die von den Polen durch Brandstiftung im Mai 1945 zu 60% zerstört
worden war, und dort unter unsäglichen Strapazen zum Teil bis zum Jahre 1957 aushielten,
eingesperrt in Kellern, gefoltert und gequält, bestraft, wenn sie deutsche Worte
sprachen! Die letzten murten auf dem Namslauer Ring, unserem Marktplatz, das wuchernde
Gras zwischen den Pflastersteinen herausziehen, bis sie in Viehwagen nach dem Westen
abtransportiert wurden.
Wir dokumentieren heute in aller Öffentlichkeit, dar am 25. März 1955 der
Kreistag des Landkreises Euskirchen einstimmig die Patenschaft über den Landkreis
Namslau in Schlesien übernommen hat. Ich habe vorhin die Patenschaftsurkunde für
den Kreis Namslau aus der Hand von Herrn Landrat Metzler entgegennehmen dürfen.
Im Namen der hier versammelten Namslauer möchte ich Herrn Landrat Metzler, Herrn
Oberkreisdirektor Dr. Rütten und den Kreistagsmitgliedern herzlichst dafür
danken. Nichtvergessen möchte ich die in die Tat umgesetzte Idee von Herrn Oberkreisdirektor
Dr. Rütten, das Namslauer Kreiswappen in diesem Saale in einem Fenster anzubringen.
3. Die Entstehung der Patenschaft
Auszug aus der Festansprache von Oberkreisdirektor Dr. Verbeek zum 10jährigen
Bestehen der Patenschaft am 8. November 1965 5
Unsere Zeit ist ausgesprochen schnellebig und entwicklungsfreudig; sie neigt daher
auch zur Vergerlichkeit. Deshalb ist es sehr nützlich, sich auch nach kurzer Zeit
noch einmal die ursprünglichen Ziele für unsere zukünftige Arbeit erneut
vor Augen zu führen.
Der Gedanke der Patenschaftsübernahme zwischen dem Kreis Euskirchen und einem
ostdeutschen Landkreis wurde erstmals in einem Schreiben vom 4. November 1952 aufgeworfen,
das der damalige Geschäftsführer des Nordrhein-Westfälischen Landkreistages
und heutige Landesdirektor Dr. Klausa an meinen Amtsvorgänger, Herrn Dr. Rütten,
richtete. Herr Dr. Rütten, dem auch die Adresse des letzten Landrats von Namslau,
Herrn Dr. Heinrich, genannt wurde, nahm mit diesem Verbindung auf. Die erste persönliche
Begegnung fand im Sommer1953 statt, in dem Jahre, in dem auch der Hauptausschur des
Landkreises zuerst mit einigen Namslauer Herren zusammentraf, um die Möglichkeit
einer Patenschaftsübernahme zu erörtern. Am 9. Dezember 1954 bekundete der
Kreisausschur seine grundsätzliche Bereitschaft zur Übernahme einer Patenschaft
und ermächtigte zu abschlierenden Verhandlungen. Am 27. Dezember 1954 berieten
der damalige Landrat und die drei Fraktionsvorsitzenden mit Namslauer Sprechern: dem
Bundestagsabgeordneten Graf Henckel von Donnersmarck, dem letzten Landrat von Namslau,
Dr. Heinrich, Oberregierungsrat Dussa, Rektor Kalkbrenner und Bäckermeister Nawroth,
der in Euskirchen wohnte und noch wohnt. Beide Seiten bekundeten ihre Absicht, durch
Kreistagsbeschlur die Patenschaftsübernahme zu besiegeln. Der Kreistag beschlor
die Patenschaftsübernahme am 22. März 1955, die dann am 3. November 1955
in einer Sondersitzung des Kreistages erfolgte.
An dieser Sondersitzung nahmen 60 Namslauer aus dem ganzen Bundesgebiet teil. Neben
der Übergabe der Patenschaftsurkunde wurde die Namslauer Fahne im Sitzungssaal
aufgestellt und ein Fenster dieses Sitzungssaales enthüllt, in dem das Wappen
des Kreises Namslau eingelassen ist.
Die Patenschaftsübernahme bedeutet zweierlei: Einmal bekundet die Patenschaft
im übertragenen Sinne den Dank der rheinischen Bevölkerung - vornehmlich
der Regierungsbezirke Köln und Aachen - an die Bevölkerung des Kreises Namslau,
der in den schweren Kriegstagen Aufnahmegebiet für die aus den bombengefährdeten
Teilen des Rheinlandes evakuierte Bevölkerung war. Wir sollten uns auch häufiger
dankbar daran erinnern, wie vielfältig die fruchtbaren Wechselbeziehungen seit
der Zeit der Besiedlung des deutschen Ostens zwischen der Bevölkerung Westdeutschlands
- vor allen Dingen Rheinlands und Westfalens - und den deutschen Ostgebieten in Jahrhunderten
gewesen sind.
Der zweite Grund der Patenschaftsübernahme weist in die Zukunft. Herr Landrat
Metzler sagte dazu bei der Patenschaftsübernahme: "Der Landkreis Euskirchen
ist,soweit es in seinen Kräften steht, bereit, die kulturelle Bedeutung des deutschen
Ostens für unser ganzes Volks zu hegen, und er ist weiter bereit, mit den Heimatvertriebenen
des Kreises Namslau eine echte Lebensgemeinschaft zu führen und das Gefühl
der Zusammengehörigkeit zu pflegen."
1 Fundstelle: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1956, S.16 2 Fundstelle: Kreisarchiv
Euskirchen
3 Fundstelle: Kreisarchiv Euskirchen, Tonbandaufnahme der Feierstunde und der Reden
bei der anschließenden Kaffeetafel an der Steinbachtalsperre.
4 Fundstelle: Tonbandaufzeichnung, Archiv des Kreises Euskirchen
5 Fundstelle: Namslauer Heimatruf Nr.37, S.4
|
|