Wenn man sich unserem Namslau näherte, so bot sich aus allen Richtunge sei es
von Giesdorf, Simmelwitz, Wilkau oder dem Stadtpark ein schönes Bild. In vielen
Aufnahmen ist dieses Bild unserer Heimat festgehalten.
Kommt man mit der Eisenbahn oder zu Fuß von Wilkau, so begrüßt uns
vor der Stadt ein imposanter Backsteinbau. Wer kennt ihn nicht? Das Krüppelheim
der Barmherzigen Brüder.
Erbaut wurde es in den Jahren 1911 bis 1913. Seine kirchliche Weihe er hielt es am
14. Oktober 1913 durch seine Eminenz Kardinal KOPP, Breslau.
Nachdem in Berthen 0/S ein großes Krüppelheim erbaut und in Betrieb genommen
war und durch das neue Krüppelfürsorge-Gesetz alle Krüppel erfaßt
werden sollten, so kam auch für Mittelschlesien der Bau eines Krüppelheimes
in Frage.
Der Konvent der Barmherzigen Brüder in Breslau entschloß sich also auf dem
Gelände des Herrn Prokowski in Namslau ein Heim für die Krüppel zu erstellen.
Da in Namslau die Krankenhausverhältnisse sehr im Argen lag, entschloß man
sich eine Krankenabteilung anzuschließen. Ihr Chef wurde Herr Dr.med.Nerlich.
Als einziges Krankenhaus hatte Namslau vorher nur das noch heute bestehende Altersheim
an der Kasernenstraße, das von Diakonissenschwestern geleitet wurde. Da die Bettennot
noch immer groß war, wurde das neue Kreis-Krankenhaus erbaut.
Im Weltkriege 1914/18 und im letzten Krieg wurde das Krüppelheim Lazarett.
Es fungierten hier mehrere Militärärzte, von denen einer der beliebtesten
und tüchtigsten Herr Dr. med. Kusche war.
Als erster Orthopäde wirkte im Krüppelheim Herr Prof. Drehmann, der ganz
Hervorragendes leistete und damit auch den Ruf des Krüppelheimes begründete.
Infolge Überlastung als Landeskrüppelarzt trat an seine Stelle Herr Dr. N
i e b e r , Facharzt für Orthopädie. Dieser arbeitete im gleichen Geiste
weiter und der Zuspruch zum Namslauer Krüppelheim wurde immer größer.
Ihm folgte Herr Dr. R e y , ein Schüler des berühmten Orthopäden Prof.
Biesalski, Berlin-Dahlem. Im neuen Krüppelfürsorge-Gesetz war vorgesehen
und bestimmt, daß ein vollwertiges Krüppelheim auch eine orthopädische
Klinik, eine Schule und Lehrwerkstätten haben müsse,
Es wurden also zwei Lehrkräfte angestellt, welche die Schulbehörde für
diesen Zweck freigegeben hatte. Die Schule war bald aufgebaut und von Erfolg gekrönt.
Die religiöse Betreuung der katholischen Pfleglinge lag in den Händen des
Hausgeistlichen, während die evangelischen Insassen von den Pastoren der Evangelischen
Kirche versorgt und auch konfirmiert wurden.
Um den Körperbehinderten eine gute Ausbildung in einem Beruf zu ermöglichen,
wurde das Werkstättenhaus erbaut und die einzelnen Werkstätten mit modernen
Maschinen ausgestattet. Es wurde eine Tischlerei, Bürstenmacherei, Korbflechterei,
Schmiede, Schuhmacherei und Schneiderei eingerichtet.Durch tüchtige Meister
erhielten die Pfleglinge eine gediegene Berufsausbildung. Ihre Gesellenprüfung
legten sie vor der Prüfungskommission der Namslauer Innungen ab.
Die Erzeugnisse unserer Werkstätten wurden gerne gekauft. Ein Bruder war als Reisevertreter
in den Nachbarkreisen tätig und brachte viele Aufträge ein, so daß
über Arbeitsmangel selbst in der Arbeitslosenzeit nicht zu klagen war. Unsere
Erzeugnisse waren bald bekannt und Einzelmöbel, sowie ganze Wohnungseinrichtungen
fanden bald ihre Käufer.
Wer jemals unser Heim besuchte, war erstaunt über den emsigen Betrieb in den Werkstätten
und entzückt von den schönen Korbmöbeln in unserem Ausstellungsraum.
Unsere Schuhmacherei war stets vollbeschäftigt und durch die orthopädischen
Schuhe besonders bekannt. Ebenso war die Schneiderei wegen ihrer gediegenen Arbeit
in bestem Ruf.
Besonders beeindruckt waren die Besucher von der vorbildlich eingerichteten Gärtnerei,
die Frater Renatus leitete und mit seinen Lehrlingen nicht nur die Umgebung des Heimes
pflegte, sondern im Anbau von Blumen Hervorragendes leistete. Seine Erzeugnisse fanden
immer Abnehmer. Leider ist von der schönen Gärtnerei nur ein Schutthaufen
übriggeblieben, wie ich bei meinem letzten Besuch in Namslau im September 1945
feststellen mußte.
Neben der beruflichen Ausbildung ging die Ausbildung in Musik, Spiel und Sport, je
nach Veranlagung und den körperlichen Möglichkeiten. Unsere Hauskapelle lag
in den Händen von Herrn Stadtkapellmeister B o c h n i g und brachte es bald zu
ansehnlichen Leistungen. Zweimal in der Woche war Musikunterricht,
Das Theaterspielen, besonders an der Fastnacht, war für alle unsere Freunde immer
ein Erlebnis. Es kam wiederholt vor, daß manches Stück zwei bis dreimal
aufgeführt werden mußte. Kamen doch die Besucher nicht nur aus der Stadt,
sondern auch aus der ganzen Umgebung.
Gerade beim Theater spielen zeigte es sich, daß selbst Körperbehinderte,
wenn sie richtig gefördert werden, Großes zu leisten im Stande sind. Es
wurde da manches Talent entdeckt und mancher Krüppeljunge vergaß darüber
seine körperlichen Mängel. Ist es doch Zweck und Sinn der Krüppelfürsorge
vollwertige und gleichberechtigte Menschen zu bilden und zu formen.
Viele unserer Pfleglinge haben sich nach ihrer Entlassung in ihrem Beruf weiter
vervollkommnet und sind selbst Meister geworden und haben eine Familie gegründet.
In dankbarer Erinnerung blieben sie auch schriftlich mit uns verbunden.
Wie allen lieben Namslauern erging es auch unseren Brüdern. Die letzten von ihnen
wohnten zusammengepfercht in unserem Wirtschaftsgebäude über der Straße.
In Luftschutzbetten lagen sie übereinander und konnten das Haus ihrer Tätigkeit
nur noch aus der Ferne sehen. Schließlich wurden auch sie vertrieben und kamen
nach dem Westen.
Die erste Zuflucht fanden sie bei Mitbrüdern in Bayern. Hier fanden sich auch
die aus der Gefangenschaft entlassenen Brüder ein.
Nach langem Suchen und nach manchen Enttäuschungen war es dem letzten Prior von
Breslau, Pater Heribert K u p k a , möglich, ein Trümmergrundstück in
Frankfurt a.M. zu erwerben und ein bescheidenes Krankenhaus zu erbauen.
Gegenwärtig ist ein Erweiterungsbau erstellt, so daß die Tradition der schlesischen
Barmherzigen Brüder nach hier übertragen werden konnte. Gottes Segen ist
mit uns gewesen und auch einige schlesische junge Menschen haben zu uns gefunden, um
den Idealen unseres Ordens ihre Kräfte zu weihen.
Unser Namslauer Krüppelheim ist heute ein polnisches Lazarett und Eigentum
des polnischen Staates.
Frater Juventius Z i e m b a (aus Namslauer Heimatruf Heft 28/1962)
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