Von H. K.
Ende April 1945 kam unser Volkssturm-Bataillon Namslau in der Gegend von Trautenau
(Sudetenland) in Gefangenschaft. Wir trauten unseren Augen nicht, als uns an einem
späten Nachmittag von allen Seiten die Russen - Panzer und Infanterie - umzingelten.
Es blieb uns nichts weiter übrig, als uns dem Schicksal zu ergeben. Nach kurzem
Verhör wurden wir in eine große Scheune gesperrt. Dann wurden die Tore der
Scheune geschlossen, und wir glaubten, man würde die Scheune anzünden, damit
die "Germanskis" verbrennen sollten. Aber nach einer Stunde wurden die Tore
geöffnet und etwa ein Zug russischer Infanterie leistete uns für die Nacht
Gesellschaft. Zwischen uns Volksstürmer legten sich auch die Wachmannschaften
zum Schlafen nieder.
Am frühen Morgen mußte wir alle antreten. Unsere Habseligkeiten, die wir
besaßen, waren inzwischen verschwunden. Wir wurden einem Kommando von Russen
und Polen übergeben, und ab ging der Marsch in die Gefangenschaft - wohin wußten
wir nicht. Wir kamen nach Strehlen, es war an einem Sonntag. In einem Drahtverhau von
ca. 50 qm waren wir ungefähr 150 Mann, die wir noch übrig waren, zusammengepfercht.
Die Offiziere wurden per Lastauto abtransportiert - wohin? - es wußte keiner.
In diesem Verhau haben wir fast zwei volle Tage zubringen müssen. Hinlegen konnten
wir uns nicht, so beschmutzt waren die Flächen. Im übrigen war auch kein
Stückchen Platz zum Hinlegen übrig. Also mußten wir abwarten, was weiter
geschehen würde. Verpflegung gab es kaum, nur wer etwas Geld hatte, konnte bei
den Posten - es waren alles ältere Russen - trockenes Brot kaufen.
Dann kam nach ungeduldigem Warten der Bescheid, daß wir in ein Lager nach Breslau
kämen. Oh, waren wir froh, als der Abtransport losging, denn unsere Glieder waren
vom vielen Stehen schon steif geworden! Bevor wir nach Breslau marschierten, lagerten
wir eine Nacht auf einer Wiese; es war empfindlich kalt, und hungrig waren wir auch.
Am Tage darauf, es kann gegen Mittag gewesen sein, kamen wir in Breslau an. Dort wimmelte
es von gefangenen Kameraden, alle Lager waren überfüllt, man führte
uns nach Hundsfeld. Auch da war kein Platz vorhanden, dann ging es wieder nach Breslau
zurück, kreuz und quer durch Straßen, die nicht zu erkennen waren, da man
nur Schutt und Trümmer sah; schließlich kamen wir in Carlowitz an. Überall
sah man weinende Frauen und Kinder. Es war nicht beruhigend, überall den Jammer
zu sehen. Auch hier waren keine Aufnahmemöglichkeiten für Gefangene. Nach
mehrstündigem Warten wurde entschieden, uns nach dem Ausgangsort (d. i. der Herkunftsort
des Volkssturm-Bataillons Namslau) zu transportieren. Eigentlich freuten wir uns, nach
Namslau zu kommen, doch es war eine Täuschung. Was uns da bevorstand, sollten
wir noch zu spüren bekommen.
In Namslau angelangt, wurden wir den Polen übergeben. Der erste "Gruß"
war eine Durchsuchung aller Taschen nach Uhren, Geld oder sonstigen Sachen, die für
die Räuber von Wert waren. Sogar Brillen und Trauringe wurden entwendet. Wir wurden
alle registriert und bekamen den Befehl, uns für 6.00 Uhr zur Arbeit zu melden.
Wir "Niemczes", also Deutsche, wurden in der Braugasse untergebracht. Wenn
einer nicht früh und pünktlich zur Stelle war, gab es kein Brot. Da wir aller
unserer Uhren beraubt waren, sagte man uns: "Kuckt nach Sonne, da habt ihr Urre."
Es war ein "feines Kommando", das uns zur Arbeit einteilte; die meisten Polen
trugen außer den Waffen noch im Stiefelschaft einen sogenannten "Sechsstriemer",
also eine Kloppeitsche, um die "Niemczes" zu züchtigen - so manch einer
bekam ungezählte Schläge.
Wir wurden zunächst für Aufräumungsarbeiten eingesetzt; dafür bekamen
je vier Mann ein Dreipfundbrot, es war eine "hungrige Zeit". So nach und
nach kamen auch die Zivilflüchtlinge zurück; ein großer Teil zog aber
am folgen Tag wieder fort. Als nun etwa 1000 Menschen zurück waren, wurde es etwas
besser für uns. Die Stadt war stark zerstört, ohne Licht und Wasser. Da kam
beim Arbeitsantritt der Befehl: Alle, die in der Browar (Brauerei) gearbeitet haben,
vortreten! Da war auch ich dabei. Wir sollten die Brauerei in Betriebszustand setzen.
Ein Ingenieur wurde aus Breslau herangeholt, und ran ging es an die Arbeit.
Zunächst waren wir so ca. 12 Mann. Als ehemaliger Buchhalter der Brauerei fiel
mir die anstrengende Arbeit schwer, zunächst den Unrat, den wir überall vorfanden,
wegzuräumen, damit man Zugang zu der Brauerei hatte. Aber schnell war auch ich
gewöhnt, den "Robotta" zu spielen. Wir bekamen vom Bürgermeister
Karten, damit wir im Lokal (früher Zurawsky) unser Essen, Mittag- und Abendbrot,
hatten. Es war für uns eine besondere Bevorzugung, aber der Pole brauchte uns,
um Ordnung, Licht und Wasser zu beschaffen.
Nach etwa 14 Tagen waren wir so weit, daß die Stadt von der Brauerei Licht und
Wasser hatte. Wir wurden vom Bürgermeister gelobt, bekamen pro Woche "15
Zloty"; es langte wenigstens für Brot und 5 Gramm Tabak. Nun gingen wir daran,
die eigentliche Brauerei instand zu setzen. Die Maschinen wurden in Ordnung gebracht,
nur die Treibriemen aus Leder fehlten. Dafür sorgten die Polen.
Eines Tages konnten wir dazu übergehen, Limonaden herzustellen; das war eine Freude
für die Polen - auch für uns! Ein großer Stab von polnischen Beamten
kam zusehen, wie der erste Limonadenabzug vor sich ging. Wahrscheinlich haben diese
"Polskis" solche umfangreichen mechanischen Abfüllmaschinen nie zu Gesicht
bekommen. Es war für uns auch eine "Feier" - der Rest des Tages war
für uns "Robotta". Wir bekamen mehr zu Essen und auch ein jeder 50 Zloty.
Also hatten wir eigentlich eine "gute" Gefangenschaft. Aber als wir technisch
so weit waren, daß mit einem Braumeister aus Breslau, es war ein Bayer, Bier
gebraut werden konnte, war die gute Zeit für uns zu Ende. Ein jeder von uns hatte
zwei Polen anlernen müssen. Dann wurden wir wieder dem Arbeitskommando zugeführt.
Es war an einem Sonntagabend so gegen 10 Uhr, als die Miliz auch mich aus der Bude
holte zu einem Viehtransport - der russische Offizier sagte bis Kreuzburg. Also los!
Wir waren fünf Mann. Es ging zunächst nach Reichen. Hier warteten schon Polen
auf uns. Wirsollten 120 Kühe und mehrere Ochsen und Bullen treiben. Als wir auf
einer Wiese bei Grambschütz haltmachten, wo das Vieh weiden sollte, hörte
ich von dem polnischen Begleitkommando, daß der Transport nach Kiew gehen soll.
Hierüber besprachen wir Namslauer uns und kamen überein, bei der nächsten
Gelegenheit gemeinsam zu türmen.
Aber ich wurde im Stich gelassen: Der nächste Aufenthalt war bei Deutsch-Würbitz
auf einer Dominiumkoppel. Wir mußten uns alle paar Stunden ablösen, um die
Koppel herumgehen, damit kein Vieh ausbrechen oder gar geklaut werden konnte. Ich war
die erste Nachtschicht dran. Als ich auf Ablösung wartete, waren meine Namslauer
Kumpanen bereits stillschweigend verschwunden.
Ich bekam einen ordentlichen Schreck und ging zum Transportführer, um nach meinen
deutschen Kollegen zu fragen. Sein Vertreter teilte mir mit, meine Kollegen seien getürmt;
ich solle - ich traute meinen Ohren nicht - noch eine Nacht meinen Posten versehen
und würde um 3.00 Uhr geweckt werden. Pünktlich um 3.00 Uhr morgens wurde
ich abgeholt, kam zum Rastplatz, erhielt ein Schreiben und Verpflegung und mußte
machen, daß ich aus dem Staube kam. Also los, durch den Würbitzer Wald über
Grambschütz nach Namslau zurück. "Gott sei Dank", so wurde ich
in meiner Bude empfangen. Vergessen war wieder einmal das Leid, nach Kiew verschleppt
zu werden. Das Arbeiten bei den Polen ging weiter, ob Sonntag oder Feiertag, immer
mußten die "Niemczes" ran. Wir Deutschen mußten alle eine weiße
Binde tragen, darauf stand unsere Arbeitsstätte.
Es waren fürchterliche Zeiten, in der Heimat der Willkür Fremder ausgesetzt
zu sein. Die polnische Miliz war in den Aust-Häusern und in Bethanien untergebracht.
Jeden Morgen wurde nach einer Liste beim Antreten aufgerufen und die Parteigenossen
gesammelt zur Wache nach Bethanien gebracht. Hier haben die Ärmsten eine Hölle
durchlaufen müssen; das Schreien der Verprügelten hörten wir bis in
die Stadt. Nach Wochen kamen die Geplagten zurück, verstört und "halb
dämlich" geschlagen - dies ist ein schrecklicher Ausdruck - aber Tatsache.
Noch ein Beispiel polnischer Willkür: Eines Sonntags gingen etwa vier bis fünf
junge Leute im Alter von ca. 15 Jahren über den Ring. Da kam ein polnischer Jude,
auch ein jüngerer Mann, grüßte höflich und sagte: Bitte kommen
sie mit! Der L. brachte die Jungen nach Bethanien, wo sie, an die Wand gestellt und
mit dem Karabiner bedroht, HJ-Lieder singen mußten. Darauf erfolgte eine "Justiz",
die man sich nicht ausdenken kann. Die Jungen wurden so geschlagen, daß ein russischer
Offizier dieselben befreite und ins Krankenhaus brachte, damit die Wunden heilen konnten.
Von den Russen wurde auf dem Bochnig-Grundstück ein Lager geschaffen, wobei auch
ich behilflich sein mußte. Dort wurden etwa 30 Personen untergebracht. Das Lager
wurde mit einem hohen Drahtverhau versehen. Dies war notwendig, um wenigstens einen
Teil der Deutschen vor Übergriffen der Polen zu sichern. Wir bekamen von den Russen
für die Arbeit zwar kein Geld, aber genügend Verpflegung und Bekleidung.
Unsere Arbeitsplätze waren die beiden Kartoffelflockenfabriken, die Überlandzentrale
und die Kaserne. Wir mußten Kleidungsstücke, Uhren, Bilder, Radioapparate,
Klaviere, Nähmaschinen, Räder und Motorräder verpacken, alles geklautes
deutsches Eigentum. - Als diese Arbeit getan war, brachte man uns nach Oppeln. Dort
wurden wir in einer Villa am Bahnhof untergebracht. Es gab reichlich Verpflegung, und
jeder hatte sein Bett. Um 8.00 Uhr wurden wir geweckt, um 9.00 Uhr holte uns ein Lastauto
ab und brachte uns zum Hafen, wo wir das geraubte Gut in Lastkähne verladen mußten.
Alle 14 Tage wurden wir in einem kleinen Autobus nach Namslau gebracht, wo wir uns
über den Sonntag erholen sollten und Wäschewechsel vornehmen konnten. Wäsche
und Bekleidung bekamen wir vom Russen. So vergingen etwa acht Wochen. Dann brachte
man uns nach Kreuzburg in Baracken hinter der Stadt auf Ellguth zu. Hier mußten
wir Wäsche, Betten und Bekleidungsstücke in Säcke vernähen und
verpacken. Nach 14 Tagen kam ich wieder nach Oppeln, wurde einem Kapitän vorgestellt
und kam in die dortige Brauerei zur Bewachung der vielen Läger. Ich bekam eine
Russenuniform, ein Gewehr und Patronen - wurde also Wachposten.
Mein Dienst dauerte von abends 20.00 Uhr bis morgens 8.00 Uhr. Mein "Komplize"
sprach gut Deutsch. Als ich ihn fragte, wo er das gelernt habe, bekam ich zur Antwort,
er sei aus Tauroggen (Ostpreußen). Wir machten Patrouillengänge innerhalb
der Läger, bekamen zu rauchen und zu essen und lebten eigentlich ganz gut. Am
Tage schliefen wir; mittags wurden wir geweckt und konnten nach dem Essen weiterschlafen.
Um 19.00 Uhr weckte man uns wieder, brachte uns das Abendbrot, und unser Dienst begann.
Wir hatten Befehl, auf Einbrecher - ob Russe oder Pole - sofort zu schießen.
Soweit kam es aber nicht. Die Nachtwachen verliefen ohne wesentliche Störungen.
Nach etwa fünf Wochen kam ich nach Namslau zurück. In "Namyslow"
hatte sich inzwischen viel geändert. Die Russen waren zum größten Teil
abgezogen. Es waren nur noch ein Zivilkommando und einige Offiziere mit Mannschaften
da.
Meine Tätigkeit begann wieder beim Russen, und zwar in der Kommandantur im Gasthaus
Pietzonka. Ich habe dort die Schweineställe übernehmen müssen.Das war
immer noch besser, als beim Polen zu arbeiten. Hier bekam man wenigstens gut und ausreichend
zu essen. Mit einem Namslauer Kameraden hatte ich den Dienst gemeinsam zu leisten.
Oft haben wir früh gegen 6.00 Uhr gehört, wie die armen Deutschen von nebenan
in der Feldstraße von der polnischen Miliz geschlagen wurden; es waren fürchterliche
Schreie. Gemessen an den Polen, waren die Russen gute Menschen -wenn sie nüchtern
waren.
Ende Oktober1946 wurden wir deutschen Kriegsgefangenen zur Kaserne geschafft, wo wir
eingeteilt wurden, um nach Deutschland abgeschoben zu werden. Es war ein langer Zug
mit etwa 52 Waggons und 1850 Menschen. Endziel war das Quarantanelager "Rathenow".
11 Verfasser nicht näher angegeben. Fundstelle:
Namslauer Heimatruf Nr. 50, S. 13
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