|
Verfasser schildert eingangs die Verteidigungsvorbereitungen im östlichen Grenzgebiet
im Zusammenhang mit der Entwicklung der militärischen Lage, die die Dringlichkeit
sofortiger Evakuierungsmaßnahmen vor Augen führt, und berichtet hierüber:
Durch Telefongespräche mit dem Oberpräsidium in Breslau und der dortigen
Regierung erreichte ich es, daß in der Nacht vom 19. auf den 20. Januar 1945
fünf sehr lange Züge mit D-Zugwagen aus Oberschlesien auf der Eisenbahnlinie
Beuthen-KreuzburgNamslau anrollten, wobei jeder Zug mit ca. 1500 Personen besetzt wurde,
so daß insgesamt 7500 Personen aus der Kreisstadt abtransportiert wurden. Diese
Züge erreichten nach jeweils 10 bis 12 Stunden Fahrtzeit den Aufnahmekreis Landeshut
im Riesengebirge. Dort wurde die Bevölkerung notdürftig in Schulen, Kirchen
und Privatquartieren untergebracht. Die Landbevölkerung des Kreises Namslau treckte
durchweg auf den vorgeschriebenen Straßen über Brieg, Ohlau, Schweidnitz,
Reichenbach, Waldenburg bei 15 bis 18 Grad Kälte und erreichte bei Tagesmärschen
von 30 bis 35 Kilometern durchschnittlich nach vier bis sechs Tagen die vorgeschriebenen
Ortschaften im Kreise Landeshut.
Der Evakuierungsbefehl für die ländliche Bevölkerung wurde von mir am
19. Januar 1945 gegen 14.00 Uhr ausgelöst, obwohl eine Stunde vorher der Kreisleiter
sich gegen eine Räumung ausgesprochen hatte. Meine Kenntnis der allgemeinen militärischen
Lage ließ es aber nicht zu, daß ich dieser Auffassung zustimmte, und ich
habe auch keine Befehle irgendwelcher Art von Breslau abgewartet. Im Laufe des 19.
Januar 1945, abends, habe ich vielmehr das Oberpräsidium, die Gauleitung und die
Regierung davon in Kenntnis gesetzt, daß ich auf eigene Verantwortung hin diese
Räumung durchgeführt habe; obwohl die Bevölkerung im Südteil des
Kreises an den Ernst der Lage überhaupt nicht glaubte, gelang es doch, bis zum
20. Januar 1945 gegen 11.00 Uhr ca. 98 % der gesamten Kreisbevölkerung zum Abrücken
zu veranlassen unter Mitnahme sämtlicher Kriegsgefangenen aller Nationalitäten.
An Menschen blieben zurück fast nur alte Leute über 65 Jahre, das sind ca.
2 % der Bevölkerung gewesen, und ca. 10 bis 15 Personen, die in den Jahren 1919
und 1921 für Polen amtlich tätig gewesen und die auch jetzt glaubten, mit
den Polen wieder ihre Geschäfte machen zu können ...
Der 20. Januar 1945 verlief relativ ruhig. Es strömten durch den Kreis in erster
Linie Flüchtlinge aus dem Warthegau und den Kreisen Rosenberg und Kreuzburg. Alle
Flüchtlinge wurden sofort in die Gebiete südlich der Oder abgeschoben. Auch
die aus dem Westen vorhanden gewesenen Bomben-Evakuierten wurden mit Zügen möglichst
weit nach Liegnitz und Görlitz abgeschoben. Der letzte zivile Eisenbahnzug verließ
dieKreisstadt Namslau am 20. Januar1945 vormittags gegen 11.00 Uhr. Es gelang im Laufe
dieses Tages trotz 18 Grad Kälte, zwei Viehherden aus dem Südteil des Kreises
in die Gebiete südlich der Oder abzuschieben, alles andere Vieh blieb natürlich
in den Ställen stehen bis auf die Pferde, die als Vorspann von den Bauern mitgenommen
wurden. An Wirtschaftsgütern konnten nach Breslau mit Hilfe der Wehrmacht einige
hundert Zentner Zucker und 30 Zentner Butter abtransportiert werden. Alle sonstigen
Vorräte mußten natürlich liegenbleiben. Akten, Urkunden und Kirchenbücherwurden
in den seltensten Fällen mitgenommen ...
Anschließend schildert der Verfasser noch die Entwicklung der militärischen
Lage und berichtet weiter:
Ich selbst fuhr im Lauf des 22. Januar 1945 über Jordansmühl-Schweidnitz-Reichenbach-Waldenburg
nach Landeshut und errichtete am 23. Januar 1945 in Landeshut nach Rücksprache
mit dem dortigen Landrat eine Zweigstelle der Kreissparkasse Namslau, um die Kreisbevölkerung
mit den notwendigen Geldmitteln zu versorgen. Wenige Akten und Unterlagen der Kreisverwaltung
gelangten bis nach Landeshut. Der Volkssturm sammelte sich ebenfalls in Landeshut und
wurde später zum Teil zur Verteidigung nach Breslau befohlen, ein anderer Teil
wurde im Frontabschnitt zwischen Grottkau und Schweidnitz eingesetzt. Die Ernährungslage
gestaltete sich sehr schwierig, so daß sofort größere Kolonnen eingesetzt
werden mußten, um Verpflegung aus den Flachlandkreisen Grottkau, Neisse und dem
nördlichen Teil des Kreises Frankenstein herbeizuschaffen. Nach Regelung der dringendsten
Unterbringungsmaßnahmen in Landeshut begab ich mich am 26. Januar1945 wieder
zu meinerTruppe.
Die Kreisbevölkerung ist dann zwischen dem 3. und 6. Februar1945 überTrautenau
und durch den Sudetengau in den Kreis Luditz bei Karlsbad getreckt, wo die Masse der
Kreisbevölkerung bis Ende Mai 1945 verblieb.
4) Fundstelle: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-/Mitteleuropa, Band
1/1, S.417
5 Siehe Bericht Kap.4, Nr. VII
|
|